BEEKE
3. März – 14. August 2010
Beeke, die einen so überaus schwierigen Start ins Leben hatte, war der
Hundegott hold.
Nur merkwürdigerweise ist es häufig so: niemand zeigt an einem Hund
Interesse, wenn dann aber die erste Anfrage kommt, purzeln die nächsten
Bewerbungen fast noch zeitgleich hinterher. Und so nahm ich mir
Zeit und lernte alle drei Parteien kennen, die sich für Beeke beworben
hatten.
Ich habe sehr, sehr nette Menschen kennen gelernt, die früher oder
später sicher einmal einen Hund aus dem Hundshuus übernehmen, aber meine
Entscheidung war gefallen: Beeke würde als Zweithund zu Forrest Gump
ziehen, den ich bereits vor fünf Jahren in sein jetziges Zuhause
vermittelt hatte.
Die neuen Halter bekamen viele Instruktionen neben der Einweisungsstunde
mit auf den Weg und Beekes Trainerin und auch ich warnten und malten
alle möglichen Situationen aus, die durch Beekes Panik-Anfälle ablaufen
könnten. Geimpft mit theoretischem und gedrucktem Wissen ging es dann
für Beekes neue Familie auf die Reise gen Nordsee-Umland.
Beeke standen Kontakte mit neuen Menschen, mit Katze, Kaninchen und
Pferden bevor, zusätzlich aber auch mit Forrest Gump, der zur Abholung
nicht noch einmal die lange Reise mitgemacht hatte. Am Tag der
Übergabe waren wir hier vor Ort sehr gespannt. Was würde passieren?
Schon bald kam die erste mail, die fast unwirklich klang. ALLE
Fremdeindrücke mit Bravour gemeistert, die Situation im Haus nicht
angespannt, aber sehr interessant.
Katze entschloss sich, zu schmollen, aber nach wenigen Tagen konnte sie
ihre Neugierde nicht mehr unterdrücken und inzwischen sind alle Tiere
und Beeke vertraut.
Die erste Zeit wurde genau nach Anweisung jeder Gang ausserhalb des
grossen Grundstücks vermieden, inzwischen geht Beeke viermal täglich mit
Begeisterung ihre Spaziergänge in nahezu unberührtem Waldgebiet.
Überhaupt haben sich alle unsere Befürchtungen als völlig unberechtigt
heraus gestellt: Beeke hat sich vom ersten Moment an völlig offen und
neugierig ihrem älteren Lebenspartner anvertraut und alles
vertrauensvoll beobachtet, kennen gelernt, erobert und zur Routine
werden lassen.
Beeke, ich bin stolz auf Dich! Und werde nie vergessen, wie Du im
Fundhunde-Zwinger in der hintersten Ecke der Hütte knurrend und
schlotternd gehockt hast und welche Aktion es war, Dich ins Hundsmobil
zu verladen.
BEEKE
Wenn Sie mich fragen, was Beekes hervorstechendste Charakter-Eigenschaften sind, kann ich das leicht beantworten: Freundlichkeit, Freundlichkeit und Freundlichkeit. Diese grosse Hündin, die aller Wahrscheinlichkeit in Kindheit und Jugend isoliert ohne jegliche Eindrücke aufwachsen musste, ist durch und durch freundlich. Aber alles im Leben hat zwei Seiten: Und so ist der Aufenthalt in Beekes näherem Umfeld dadurch auch etwas erschwert: Sie küsst und peitscht alles in Grund und Boden, um ihre Begeisterung auszudrücken.
In Beekes neuer Familie können gerne Kinder leben, nur sollten diese noch unter dem End-Gewicht von ca. 90 kg sein, wäre es von Vorteil, wenn ein Elternteil in höherer Stellung bei Michelin beschäftigt wäre und deshalb vergünstigt an die berühmten Gummireifen-Ganzkörper-Anzüge käme. So geschützt könnten die Kinder dann beruhigt mit Beeke knuddeln, da bei einem Sturz durch Rutenschlag der Anzug das Kind wie ein Stehauf-Männchen sofort wieder aufrichten würde. Sollten Sie in Ihrer Wohnung eine Sammlung von Vasen aus der Ming-Dynastie ausstellen, würde ich auch eher zu einem anderen Hund raten….
Beeke ist ein wunderbares Hundetier, aber aus meiner Schilderung geht sicher hervor, dass sie eine Grobmotorikerin ist – was wahrscheinlich seine Ursachen im Fehlen frühhundlicher Eindrücke hat. Beeke kommt sofort und mit Begeisterung auf Ruf angelaufen, lediglich mit der Berechnung des Bremsweges gibt es noch kleine Schwierigkeiten. Ein Hundehalter, der mit eigner schneller Reaktion aus dem Weg hüpfen kann, ist einem Rollator-Läufer vorzuziehen.
Ich will es eigentlich nicht übertreiben, aber grundsätzlich erkennen Sie sicher das Problem: diese nicht gerade kleine, extrem freundliche und gutmütige Hündin benötigt ein Umfeld mit Platz und Menschen, die nicht unter Magersucht leiden und deshalb leicht umgeworfen werden könnten.
Beeke würde sehr gut in ein üppiges Umfeld passen: sowohl die Räume als auch der Aussenbereich sowie die Menschen sollten mit dem Begriff „üppig“ versehen werden können. Und auch gegen einen anderen (natürlich üppigen) Hund hätte Beeke gar nichts einzuwenden, denn sie ist mit allem und jedem verträglich. Unser alter leidgeprüfter Pekingnesen-Mix ist allerdings zutiefst genervt, da Beeke ihn heiss und innig liebt und einfach am liebsten in ihn hinein kriechen würde. Was zur Folge hat, dass unser Senior versucht, sie mit seinen letzten vorhandenen Zähnen in die Flucht zu beissen….Sie sehen das Problem? Wenn das Umfeld stimmt, haben Sie eine wunderbare, bildschöne Hündin, die bereit ist, nach sanfter Heranführung an unbekannte Dinge mit Ihnen ans Ende der Welt zu gehen. Beeke sollte zu Menschen vermittelt werden, die nicht der Meinung sind, ein Hund müsse sie stets und ständig und überall hin begleiten. Diese grosse Hündin wäre in einem Biergarten oder Restaurant nicht glücklich, ein Einkaufsbummel wäre ebenso wenig ihre Welt. Wenn sie im häuslichen Umfeld ihren Dreh- und Angelpunkt hätte, einen guten Spaziergang pro Tag geboten bekäme und ansonsten in Ihrer Nähe leben dürfte, wäre dieses Kuscheltier einfach nur glücklich.
Beeke wird in ländlichen Bereich mit Haus und Garten vermittelt. Ich denke, sie könnte sich an Katzen gewöhnen, wenn diese dickfellig wären.
Der Ausbildungsstand von Beeke ist am Beginn, sie arbeitet aber gut und begeistert mit. Die Grundbegriffe werden gut befolgt, Clickertraining ist ihr vertraut. Ernährt wird sie wie alle Hunde vor Ort mit Teil-Barfung.
Aber besuchen Sie diesen tollen Hund doch einfach einmal. Vorab bitte wie immer eine aussagekräftige schriftliche Bewerbung an info@hundshuus.de
****
Tagebuch einer Rettung
3.3.10
Ein extrem scheues Hundepaar wird seit Tagen in einem kleinen
Dorf nahe Dannenberg/Elbe gesichtet. Es gelingt den Gemeinde-Arbeitern,
ein Tier in einer Scheune mit Hilfe einer Fangstange zu fixieren und
anschliessend in den Fundhunde-Zwinger zu bringen.
23.3.10
Eine Angestellte der Gemeinde informiert mich nach nunmehr drei
Wochen über den Fundhund.
24.3.10
Im Fundhunde-Zwinger befindet sich nichts! Ich gehe in den
Zwinger, schaue um die Ecke in die zugige Hütte und werde durch einen
hellen Hund angeknurrt. Ich setze mich dem Hund vor den Ausgang und
schnell wird klar, dass dieses Tier vor Angst fast von Sinnen ist und
vor lauter Panik nur knurren kann. Im Grunde genommen hätte der Hund
viel lieber Kontakt und würde sich in die Arme eines netten Menschen
kuscheln.
Sitzend streife ich dem Hund eine Art Lasso über den Kopf und
muss ihn leider mit sanfter Gewalt zum Hundsmobil bringen und verladen,
um ihn von seinem zukünftigen Glück überzeugen. Dabei sehe ich erstmals,
dass es sich um eine Hündin handelt.
Die Ankunft im Hundshuus ist schwierig, da die Hündin gross und
mindestens 30 kg schwer ist und vor Panik in totaler Schreckstarre
verharrt. Brando, der zur Zeit das grosse Hundehaus alleine bewohnt, wird
in den Krankenraum gebracht und ich bemühe mich, die Hündin in das Haus
zu bekommen. Es klappt, Brando wird in dem jetzt abgeteilten, vorderen Bereich
von 30 m² gelassen, die Hündin hat die grössere Fläche von 85 m² für
sich alleine. Die darin stehenden eingebauten Hundelager geben ihr die
Chance, entweder unter einem grossen Bett, welches erhöht gebaut wurde,
zu liegen oder aber die Höhe der Konstruktion zu nutzen.
25.3.10
Die Nacht war hart! Die Hündin bellte fast pausenlos, Brando
entschloss sich, ihr Gesellschaft zu leisten. Ich entschliesse mich, die feste, bisher geschlossene Doppeltür
zwischen den Wohn-Bereichen zu öffnen, stattdessen nur noch die Drahttür
zu benutzen und beiden
Hunden Sichtkontakt zu ermöglichen.
Die Hündin bekommt den Namen Beeke. Ein schöner Hund benötigt
einen schönen Namen und dieser friesische Name lag schon lange bei mir
parat, um dem richtigen Hund gegeben zu werden. Beeke ist panisch vor Angst, nähert sich aber doch nach einigem
Zureden, in die Hocke gehen und wegschauen. Als sie ihre Angst überwunden hat, ist sie derart dankbar,
Zuwendung zu bekommen, dass ich in Zukunft nur noch mit dicker Jacke zu
ihr kann. Sie versucht, fast schon hysterisch, an mir hochzuklettern, um
Schnauzenstoss zu machen und mich um Himmels Willen zu beschwichtigen! Dieser Hund ist derart schwer misshandelt worden, dass keinerlei
andere Kommunikation ausser Beschwichtigungen ihrerseits möglich sind.
Ein Sitzen meinerseits ist unmöglich, da sie versucht, mich innerhalb
kürzester Zeit zu erklimmen. Bei all ihren Bemühungen, mir zu gefallen
und mich zu beschwichtigen, schreit sie hell und ohne Pause.
Was können Menschen nur den Tieren zufügen?
Meine erste Annahme, bei Beeke könnte es sich um Sallys Schwester
handeln, ist falsch. Beeke ist höchstens 6-7 Monate alt. Durch ihr
Gewicht und ihre distanzlose, fast brutale Art der Beschwichtigung ist
sie wie ein grosser Pudding, der nicht in Form zu bringen ist. Eine
Kralle erwischt meinen Hals, der sofort eine blutende Strieme bekommt.
Kurze Zeit später prallt ihre Nase in mein Auge. Nicht überraschend ist ihr gesamter Bereich ein einziges Meer von
flüssigem Durchfall und dessen Reinigung und Desinfizierung
soll mir die nächsten Stunden versüssen. Ich beschliesse, Brando im Auslauf zu halten, Beeke in sein
Revier zu bringen und sie vor allen Dingen zu entwurmen.
Am Nachmittag haben sowohl Beeke wie auch Brando im Hundehaus den
ersten Kontakt und wie erwartet, entspannt Beeke. Da sie mit einem
Geschwister durch die Gegend irrte, ist sie Hunde-vertraut. Menschen
dagegen bringen sie mental an den Rand einer Krise. Beeke hat fast bis auf das Nagelbett abgelaufene Krallen, sie und
ihr Geschwister müssen viele Wochen unterwegs gewesen sein.
26.3.10
Am Morgen erneut die „Überraschung“, dass Beeke versucht, das
Sägemehl von ihrem Durchfall rein zu halten. Meine tägliche Aufgabe
wartet auf mich! Die dreimalige Fütterung der dürren Hündin wäre als Werbefilm
für Hundefutter zu verkaufen: Beeke saugt unter höchsten Winsel-
und Begeisterungstönen mit peitschender Rute (als Beschwichtigung) die
Mischung aus Lunderland-Flocken, Lunderland-Putenfleisch
und gekochtem Reis mit planzlichen Quell-Tabletten (gegen den
Durchfall) in sich hinein. Brando, der ein nörgeliger Fresser ist,
schaut fassungslos zu!
Heute entschliesse ich mich, die Hündin vor das Hundehaus auf die
Koppeln zu bugsieren. Mit viel Kraft, etlichen blauen Flecken an meinen Armen und
Beinen (da Beeke wieder massiv beschwichtigt) gelingt es, sie in die
Natur zu bringen. Dort hat sie an einer Schleppleine die Chance, sicher
und mit mir als Führung das Grundstück zu erkunden. Es tut ihr gut, Ruhe und Sonne zu haben und sie beriecht jedes
Blatt, jeden Stein in schier unerschöpflicher Geduld. Dieser Hund hat keine Eindrücke in Bezug auf Natur und Land
bekommen. Alles, vom Holzstück bis zum Spielzeug der anderen Hunde,
erscheint ihr neu, aber nicht furchteinflössend.
28.3.10
Beeke hat nun alle Hunde kennen gelernt und ist sehr gut im
Umgang mit ihnen: abwartend, zuschauend und vorsichtig. Alle Hunde akzeptieren sie, Rico als Schlauer hat ihre Schwäche
erkannt und ist etwas keck zu ihr, lässt sich aber korrigieren. Beeke hat erkannt, dass Sägemehl viel angenehmer unter den Pfoten
ist, wenn man einen See oder Haufen macht. Meine
Hundehaus-Reinigungszeiten reduzieren sich drastisch!
Ich habe aus reinem Selbstschutz gelernt, sie weitestgehend zu
ignorieren. Sie läuft wie festgeklebt hinter mir her, aber jeder Blick,
jedes Wort animiert sie, wieder wie wild zu beschwichtigen. Dieser Hund
muss derart viel Prügel und Gewalt erfahren haben, dass ein normaler
Kontakt zu Menschen sicher nicht möglich war. Auch Sally, die Hündin aus der gleichen Verpaarung, aber eine
Läufigkeit früher, ist eine grobmotorische Hündin. Wahrscheinlich hatte
die entsetzliche Haltung auch hier bereits Folgen, nur hatte Sally das
Glück, mit ca. vier Monaten aufgegriffen zu werden.
Es macht mir Sorgen, dass erstens noch immer ein Hund dort
draussen in grösster Panik umherirrt, den wahrscheinlich niemand fangen
kann und – für mich fast schlimmer – dass es irgendwo einen Perversen
gibt, der Hunde vermehrt und dann schwerst misshandelt und
wahrscheinlich irgend wann aussetzt. Das ist eine Unglücksspirale ohne
Ende. Ich hoffe so sehr, dass jemand aus dem Lüneburger oder
Lüchow-Dannenberger Raum Beekes Gesicht schon einmal sah oder einen
Husky-Besitzer oder Husky-Mix-Besitzer kennt und sich umhört, ob dort
Würfe fallen. Jeder noch so kleine Hinweis bringt uns vielleicht näher
an eine Lösung.
29.3.10
Beeke hat keinen Durchfall mehr! Das Sägemehl wird gut
angenommen, die Reinigung des Hundehauses ist schnell und bequem
erledigt. Was für ein Fortschritt! Beeke läuft zum ersten Mal einige Schritte mit den anderen Hunden
mit, ohne ständig an meiner Hosennaht zu kleben. Lob ist nicht sinnvoll,
da die direkte Ansprache wieder Überreaktionen bei ihr auslöst. Es ist
immer wichtig, WO man sie anspricht, da dieses wie wild drehende
Hinterteil in der Werkstatt unangebracht ist und tausend Sachen umwirft
oder herunterfegt.
30.3.10
Beeke bekommt die ersten Fleischknochen, die sie wie geisteskrank
bearbeitet. Hühnerbeine und Hälse sind bereits gut verdaut und damit
beginnen wir die ersten kleinen Schritte in Richtung BARF. Es ist schwierig mit einem Hund, der keinerlei Kommandos kennt.
Locke ich sie, kommen die anderen. Soll sie durch eine angelehnte Tür
laufen, geht sie unter Garantie auf die Seite der Angeln. Sage ich BLEIB
DA mit Handzeichen, läuft sie weg. Kommt der Befehl zum AB, nachdem sie
wieder in mein Ohr wollte, freut sie sich und will höher hinaus. Es ist
einfach eine Nervensache und für das Rudel in jedem Fall anstrengend, da
Beeke keine Distanz einhält, alles und jeden über den Haufen rennt,
nicht rechtzeitig bremsen kann und bei wilden Sprüngen auf die
Baumstämme die Entfernung falsch berechnet und davor oder daneben
landet. Will sie Rico auf die Kletterbalken folgen, ist das in jedem
Fall gefährlich, da sie zu ungelenk ist und sich fast die Beine bricht. Aber es wird schon – jeder Tag brachte eine Verbesserung.
1.4.10
Beeke hat laut und deutlich gebellt, sehr schön tief. Es galt der
Schubkarre, die mein Mann um die Ecke bewegte. Sie freut sich über die anderen Hunde, läuft entspannter und
liegt inzwischen auch häufiger, da sie wenig Kondition hat.
Nach wilden Hatzen mit Bono, Elmo und Brando ist sie zufrieden und schaut entspannt dem Treiben zu. Alles in allem ist sie in erstaunlich kurzer Zeit eine fast normal wirkende Hündin geworden und ich denke, dass sie nach ihrer Kastration (die ich noch ein wenig warten lassen möchte) in ein gutes Zuhause umziehen kann, wenn dort verständnisvolle Menschen ihr die Dinge des Hundeeinmaleins in Nachhilfestunden erklären werden.
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