GRETA
Ich glaube ihnen ja nicht – den Leuten, die
behaupten, sie würden alle Hunde gleichmäßig lieben….
Jeder von uns hat doch ein bestimmtes „Beuteschema“
und man ist dagegen meist machtlos.
Als ich die Nachricht erhielt,
dass sich im Fundhunde-Zwinger auf dem Kläranlagengebiet seit einigen
Tagen ein Hund befinden würde, fuhr ich hin und – platsch – es hatte
mich erwischt.
Dort saß ruhig abwartend eine Rottweilerin. Jung und
schlecht ernährt, mit sehr großem Gesäuge. Zu allem Überfluss auch noch
mit viel zu kurz kupierter Rute.
Sie war zögerlich, aber neugierig
und als ich zu ihr in den Zwinger ging, um ein Halsband samt Leine zu
befestigen, zeigte sie keine Abwehr.
Den Zwinger verließ sie gerne
und schnell, aber der Einstieg in meinen VW-Bus und den darin
eingebauten Hundekennel stellten uns vor ein Problem.
Eine nicht zu große, aber fremde Rottweilerin nimmt
sicher jeder nicht gleich beherzt auf die Arme, um sie ins Auto zu
heben. Nachdem ich eine Ewigkeit gelockt und versucht hatte, sie zu
überzeugen, band ich sie vor dem Wagen fest und legte eine Spur aus
getrockneten Sprotten-Stückchen. Und das war das Geheimnis: die Hündin
vergaß vor Begeisterung über den Fisch ihr Unbehagen und ich konnte sie
sicher und gut im Hundeabteil verstauen.
Zuhause angekommen führte
ich sie aufs Grundstück (alle anderen Hunde waren vorher durch meinen
Mann eingesperrt worden) und machte die Leine los.
Langsam, tief durchatmend, ging die Hündin von
Stein zu Stein, von Baum zu Baum und sog wirklich jeden neuen Geruch
tief ein. Zum Glück waren vorher alle anderen Hunde draußen gewesen,
denn sonst hätte ich Angst haben müssen, dass sie ins Haus machen
würden. Da das Grundstück fast zwanzigtausend Quadratmeter groß ist und
die Hündin sich offensichtlich in den Kopf gesetzt hatte, jeden Stein
und jedes Blatt zu erschnüffeln, nahm unser Rundgang kein schnelles
Ende.
Als ich sie nach langer Zeit in ihr neues Revier,
ins Hundehaus, bringen wollte, blieb sie wie angewurzelt vor den drei
Stufen im Eingang stehen. Sie kannte offensichtlich keinerlei
Treppenstufen, aber ein paar restliche Sprotten halfen wieder weiter.
Im Hundehaus angekommen, war sie mit weiterem
schnüffeln völlig ausgelastet und
nachdem ich ihr die für alle Hundezimmer übliche klassische Musik
im Radio eingeschaltet hatte, ließ ich sie alleine.
Endlich konnte das restliche Hunderudel aufs
Gelände und die wilde Verfolgung der neuen Spur machte allen große
Freude.
Die Neue
brauchte einen Namen und wie üblich kam er mir sofort in den Sinn: eine
so schöne Hündin konnte nur nach der Garbo benannt werden, also bekam
sie den Namen GRETA.
Greta durchlief das übliche Prozedere aller
Neuankömmlinge, welches mit der Wurmkur startet.
Leberwurst mit darin enthaltenen Pillen war kein
Problem. Auch das Frischfleisch mit Gemüse und Reis wurde nach kurzem
Zögern mit Appetit, aber sehr gesittet, gefressen.
Greta zeigte sich
in den nächsten Tagen als wissensdurstige Hündin. Sie schien noch
niemals Treppen, Wasserschläuche und viele andere Dinge des täglichen
Lebens gesehen zu haben.
Auffällig war auch, dass sie niemals in weichen
Betten oder Liegeschalen lag, obwohl
der Raum ungefähr sechzig Quadratmeter groß ist und aus Holz gebaute
Hundebetten mit weicher Innenausstattung, Liegeschalen mit Vetbeds und
andere weiche kuschelige Dinge in großer Auswahl enthält.
Sie legte
sich immer in die Ecke mit dem dicken Sägemehl-Haufen, der für die im
Hundehaus lebenden Hunde gedacht ist, die nicht an Stubenreinheit
gewöhnt sind.
Greta machte ihre Haufen und Pfützen genau in
diesen Haufen und legte sich einen halben Meter davon entfernt zum
Schlafen.
Das zeigte mir, dass die Hündin offenbar in einem winzigen
Raum gehalten worden war, der es ihr nicht ermöglicht hatte,
instinktsicher Darm und Blase weit vom Lager entfernt zu leeren.
I
ihrem gesamten Verhalten nach war Greta jung
angeschafft worden, lebte wahrscheinlich isoliert außerhalb des Hauses
in einem kleinen Raum, wurde versehentlich bei der ersten Läufigkeit
gedeckt und als die Welpen verhökert waren, hatte der ehemalige Halter
auch kein Interesse mehr an der Hündin.
Er „entsorgte“ sie und als
die Fundanzeige in der Zeitung zu lesen war, ignorierte er sie.
Greta lernte nun, auf Befehl zu pieschen und ihre Haufen zu machen.
Jedes Mal, wenn sie draußen das Gras dafür nutzte, gab es einen
freudigen Aufschrei von mir mit dem neuen Befehl und eine gute
Belohnung.
Meine schlaue Greta gewöhnte sich an, schnellstmöglich
Blase und Darm zu leeren, da sie ja blitzschnell ihre Belohnung abholen
musste.
Und die smarte Schöne war auch schlau genug, mich
hinter das Licht führen zu wollen: sie hockte sich kurz zum Schein hin
und tat als ob……..
Es war eine Freude, zu sehen, wie die Hündin nach
und nach das komplette große Rudel kennen lernte und sich mit allen
Hunden gut verstand.
Der Deutsche Jagdterrier und sie wurden enge
Freunde, die die gleiche Sprache im Spiel benutzten: Grobmotorik pur!
Und das ganze in Windeseile.
Ich musste mir häufig Bäume im Wald
suchen, an die ich mich vom dem umgerannt werden retten konnte.
Greta nahm an Umfang zu, das Gesäuge hatte sich
sehr schön zurückgebildet und ich machte einen Kastrationstermin klar.
Ich finde, dass Hunde aus dem Tierschutz, die Gefahr laufen, auf
Grund ihrer Rasse eines Tages in dunklen Kanälen zu landen, nicht
unkastriert vermittelt werden dürfen.
Gretas OP-Termin rückte näher,
aber der nicht enden wollende entsetzliche heiße Sommer machte mir
Angst. Es war definitiv kein Narkose-Wetter und so legte ich den Termin
um zwei Wochen nach vorne.
Um es kurz zu machen: diesen Vorgang
wiederholte ich noch zwei Mal! Es wurde einfach kein OP-Wetter für eine
Bauchhöhlenöffnung und entsprechende tiefe Narkose.
Greta störte das
alles nicht: sie genoss mit dem Dackel und dem Jagdterrier den
Hunde-Swimmingpool. Eines ihrer liebsten Spiele war es, unter dem
Birnbaum eine reife Birne zu greifen, im Galopp zum Pool zu rasen und
die Birne im hohen Bogen ins Wasser zu werfen.
Dann musste sie mit vielen Tauchgängen, bei denen
der gesamte Kopf unter Wasser ging, wieder hochgeholt werden und aus dem
Pool springend im Galopp vor den Verfolgern gerettet werden.
Die
leicht angematschten Birnen wurden dann laut schmatzend im Wasser
stehend aufgefressen, aber es lagen genügend neue Früchte für eine
weitere Spiele-Runde unter dem Baum hinten auf der Wiese.
Es war
köstlich, den nimmermüden Hunden bei dieser entsetzlichen Hitze bei
ihrem Spiel zuzusehen.
Nach etlichen Wochen Wartezeit kam Gretas
großer Tag: sie wurde kastriert, geimpft und gechippt.
Wohlweislich
hatte ich zum Erhalt ihrer Bauchnaht fünf extra starke Halskrausen einer
französischen Firma bestellt, denn ich traute Gretas Motorik einiges zu.
Und so kam es wie erwartet: gut gegen Schmerzen
austherapiert, beschloss Greta bereits am ersten Tag nach der OP, dass
sie lieber wie gewohnt mit ihrem Jagdterrier-Freund Thure toben wollte.
Ich hatte sie in weiser Voraussicht an der Schleppleine und konnte so
wenigstens für fünf Tage zu viel an Aktion verhindern.
Als sie am
sechsten Tag frei laufen durfte, hörte ich im Wald den vierten
Halskragen laut zersplittern. Und bis zum zehnten Tag hatte sie alle
fünf Kragen auf dem Gewissen, die zum Teil schon mit Paketband geflickt
waren.
Aber Greta hatte eine wunderschöne Traumnaht, die Fäden ließen
sich wie aus Butter ziehen und so war dieses Kapitel gut verlaufen.
Mein Mann und ich spielten mit dem Gedanken, Greta nicht zu vermitteln,
sondern in unser Hausrudel aufzunehmen.
Aber die Vernunft hielt mich
davon ab: mein Alter und Greta, die höchstens anderthalb Jahre jung war,
passten nicht optimal zusammen.
Wie der Zufall es wollte, erzählte
mir eine Frau, die öfter Hunde in Not für eine begrenzte Zeit bei sich
aufnahm, dass sie gerne wieder einen eigenen Hund hätte.
Ich
schickte ihr kommentarlos einen „Badefilm“ von Greta und Freunden im
Pool und sie war begeistert.
Wir beschlossen, dass sie noch einige
Male zum Spazierengehen hierher kommen sollte, außerdem wollte ich Greta
noch Auto-einsteigen beibringen und so zog Greta nach schöner vorheriger
Gewöhnung an ihre neue Halterin im November in ihr neues eigenes
Zuhause.
Und das beste daran ist, dass es nur ganze 10 min. entfernt
von hier liegt.
Wenn Greta dort lange und gut eingewöhnt ist, werden
wir das alte erprobte Rudel wieder zusammen spielen lassen und ich kann
mein Lieblingsmädchen wieder kraulen und knuffen.
Und morgen ist ein
weiterer großer Tag für Greta: sie hat ihre erste Unterrichtsstunde mit
ihrer Halterin in der Hundeschule! Obwohl mein Herz noch sehr an dieser
wunderbaren Hündin hängt, freue ich mich, dass sie ein so schönes und
dicht neben uns gelegenes Zuhause bekommen hat!