Das Drama des kleinen Hundes

 

1. Ein Hund aus dem Tierschutz soll es sein! 
Das ist lobenswert.

2. Ein kleiner Hund soll es sein, weil er doch so niedlich ist!
Das ist gewagt.

3. Ein unkomplizierter Hund soll es sein, da man wenig Ärger haben möchte!
Das ist dumm.  

Ich muss es gestehen: Wenn ich obige Wünsche am Telefon höre, möchte ich am liebsten „UND TSCHÜSS“ sagen und den Hörer auflegen. Denn der Ärger mit dieser Art von Interessenten ist vorprogrammiert. Ein Hund aus dem Tierschutz ist selten unbelastet und/oder gut gehalten, geprägt, gefördert und sozialisiert worden. Denn wäre er das, bestünde wohl kaum ein Grund, sich des Hundes zu entledigen….

Ein kleiner Hund ist – leider – in der Regel niedlich, verführt aber auch die falschen Menschen dazu, ihn adoptieren zu wollen.  Yorkshire-Terrier, Silky-Terrier, Welsh Corgis, Jack-Russell-Terrier, Dackel, Pudel, Pekinesen – alle diese Hunde sind zu speziellen Zwecken gezüchtet worden, sei es nun die Tötung von sog. Raubzeug im Bau (Tierbehausung), sei es das Bewachen der chinesischen Palastmauern, oder sei es das Melden von Fremden und ggf. das Vertreiben der Eindringlinge.  Bis auf wenige Rassen (zu denen der momentan leider sehr in Mode geratene Mops gehört) gibt es höchst selten kleine Hunde, die friedfertig und freundlich ins Leben schauen.

Das ist aber in den meisten Fällen des Hundewunsches die Erwartungshaltung des neuen Besitzers: Etwas liebes, kleines, freundliches zum Kuscheln und mit ins-Bett-nehmen.  Und kommt dann so ein Zwerg in eine fremde Umgebung und wird wie ein Prinzesschen gehätschelt und gefüttert und leise beredet, dann kommt das Erbe des Wolfes zum Vorschein, welches deutlich sagt: Wenn jemand einen solchen Aufstand um mich macht, auf all mein AGIEREN sofort RE-AGIERT, dann bin ich eben der Rudelführer im neuen Haushalt und werde mal bestimmen, wer hier in die Höhle darf und wer nicht, dann werde ich eben die Verteidigung meines Rudels übernehmen usw.

Und passiert die lautstarke Verteidigung von Frauchen auf der Strasse an der Flexi-Leine, dann wird dieser Gernegross sofort beherzt eingerollt und auf den Arm gehoben (nur Rudelführer haben erhabene Positionen!), damit ihm nichts passiert!  Das jedoch der provozierte, am Boden befindliche  Hund (egal, wie gross oder klein) sich diese Unhöflichkeiten nicht bieten lassen will und evtl. an der besorgten Kleinhund-Halterin (im wahrsten Sinne des Wortes) hochspringt, um den sich wie wild gebärdenden Kerl mal zu massregeln, das entsetzt dann alle Welt und zieht in der Regel ein wildes Gekeife der beiden sich gegenüber stehenden Hundehalter nach sich!  

Hier werden ZU LASTEN eines gesunden Verhaltens eines Hundes gravierende Fehler begangen: Ein falsch aufgebautes Ego (des Zwerges) wird kräftig unterstützt und damit eine Lektion/Korrektur eines provozierten „Gegners“ förmlich angezogen.  Hier wird der „gesunde Erstkontakt“ zwischen zwei Hunden durch überängstliches Verhalten eines unsicheren Besitzers verhindert und hier wird einem angeblichen „Angriff“ eines hochspringenden Hundes falsche Bedeutung zugewiesen.

Ich möchte hier nicht die Inhalte zahlreicher guter Hundebücher wiedergeben (auf Wunsch auch gerne als Liste über mich zu erhalten), aber ich möchte noch einmal Menschen darauf aufmerksam machen, dass ihre (sehr gut gemeinten) Absichten für alle Beteiligten nach hinten losgehen können.  Und da ich ja gerne Beispiele aus dem Leben schildere, hier zwei ganz aktuelle Vorfälle meiner Vermittlungshunde:

 

1.Fall:  

Mickelmann kommt nach 3 Tagen Adoption wieder zurück in unser Rudel.  Und das tut er völlig schuldlos. Obwohl seine Halter sehr nette und ruhige Leute waren und Micky aus der hier sehr gefestigten Rudel-Situation heraus  ihnen gegenüber seine Sympathie bekundete, schlug die Stimmung schlagartig im neuen Heim um. Dort lebt zusammen mit drei weiteren Katzen eine taube Katze, die als zickig beschrieben wurde. Dieses Tier hatte wohl seinen Unmut über Mickys Zuzug zum Ausdruck gebracht, worauf Micky verunsichert wurde, da durch die neuen Halter sehr wahrscheinlich keine klaren Anweisungen in seine Richtung gesendet wurden. Micky zeigte sich zwei Tage zuvor bei mir während eines Testes in einer Katzenvermittlungsstation eher desinteressiert an all den Zwerg-Tigern. Als er zeitweise etwas unruhig inmitten der Katzenschar wurde, signalisierte ich ihm, dass ich das Problem fest im Griff habe und es für ihn lösen würde. Bellen wurde von mir sofort korrigiert, er gab seine nervöse Reaktion auch sofort auf. Katzen-Test also nach 10 min. abgebrochen und als bestanden für Micky vermerkt! Nun, im neuen Heim, zusammen mit den neuen Gerüchen, den neuen visuellen Eindrücken, nach der langen Autofahrt also eine hohe Stressbelastung für den ehemals unsicheren und misshandelten kleinen Rüden. Ich hätte als neuer Besitzer nur  eine kurze Zusammenkunft der beiden Tierarten zugelassen, danach wären sie jedoch bis zum nächsten Tag getrennt worden.

Die neuen Halter haben die Tiere nicht getrennt, die Halterin hat sogar im Wohnzimmer geschlafen, da sie Micky vor evtl. Attacken der Katze schützen wollte. Und dieser bis zur äussersten Kante mit Stresshormonen angereicherte kleine Mann hat nun als Ventil für den Abbau der ausgeschütteten Hormone lediglich Bewegung -> Attacken und Lautäusserung -> Bellen zur Verfügung.  Untermauert von beruhigenden  (für den Hund aber als Bestätigung abgespeicherten) Worten.  Eine Nacht in einer Hundebox auf vertrauter mitgebrachter Decke bei Ruhe und (zwangsläufiger) Dunkelheit im Schlafzimmer hätte den Stresspegel stark herunter geschraubt und am nächsten Tag eine weitaus entspanntere Begegnung mit den Katzen ermöglicht.

Mein Rat, Micky die ersten Tage an der mitgebrachten Schleppleine laufen zu lassen, wurde nicht beherzigt. Diese Schleppleine wäre einerseits Halt für ihn gewesen, andererseits aber auch die Möglichkeit für die Halter, das anbellen der Katzen sofort zu korrigieren.  Der am zweiten Tag zur Arbeit gefahrene Mann wurde abends mit lautem Bellen und einem Schnappen ins Bein begrüsst.

Eine völlig normale Reaktion für einen Hund, der erstens keine starke Rudelführung seines neuen Menschen erkennen kann, eine normale Reaktion aber auch bei Hunden, die durch Männer misshandelt wurden und die einfach Zeit UND LECKERCHEN zum abendlichen Neu-Einstieg ins Rudel benötigen. 

Mickys Adoptiveltern, die – ich muss es noch einmal betonen- wirklich sehr nett sind, haben ihn bereits hier sehr eng umarmt und an sich gedrückt, worauf mein kleiner Zwerg voll Panik knurrte. Ich habe es hier vor Ort noch einmal ausführlich erklärt, dass dieser Hund Zeit braucht, um Vertrauen aufzubauen und vor allen Dingen IN RUHE GELASSEN werden muss, bis er VON ALLEINE Kontakt sucht.   Dazu bringe ich zur besseren Verständlichkeit immer gerne das Beispiel einer anderen Kultur, in die man selber kommt. Wenn z.B. Chinesen uns nach nur 5 min. dicht und heftig an sich drücken würden, um uns zu küssen, würden wohl bei jedem von uns die Abwehrmauern in Sekundenschnelle aufgebaut werden und wir würden uns steif und entsetzt entwinden.

Dieses – so nett gemeinte – Verhalten kleinen Hunden gegenüber würde wahrscheinlich auch niemand bei einem Schäferhund oder einem Staffordshire-Terrier an den Tag legen (wobei es bei letztgenanntem wahrscheinlich am unkompliziertesten wäre…). Damit also erinnernd an meine Überschrift: Das Drama des kleinen Hundes!

Micky hat in der Anfangszeit bei uns im Hundshuus, nachdem seine Schockstarre gelöst war und er aus seinem Einzelzimmer in den Wohntrakt ins Rudel umzog, meinen Mann ebenfalls mehrmals attackieren wollen.  Was allerdings sofort und mit Nachdruck stimmlich durch mich (als Rudelführer) korrigiert wurde und niemals wieder zu Tage trat.  Und obwohl seine neuen Adoptiveltern über Jahrzehnte drei kleine Hunde bis zu deren Tod begleiteten, ist in dieser Zeit nichts von ihnen aus dem Bereich Hundeverhalten und Hundesprache gelernt worden.  Denn kleine Hunde werden nicht für voll genommen….

Aber sei`s drum: Mickelmann kommt heute zurück und wird sich wieder in das Rudel einfügen, manchmal Korrektur bekommen müssen und darauf hoffen, dass eines Tages Menschen kommen, die ihn sehen, wie er ist: Ein kleiner ganz grosser Hund mit einem Anrecht auf gute und versierte Führung und damit der Sicherheit, die er nach seiner Vorgeschichte verdient hat und die ihn ruhig und beschützt durchs Leben führt.  

Aber noch zum Fall 2:  

Wie Sie aus dem Tagebuch schon erfahren haben, lebt Buma seit einiger Zeit bei uns.  Der Hund eines Alkoholikers, unsicher, früher mehr in einer Kammer weggesperrt, als an der frischen Luft. Natürlich kennen weder Buma noch Micky, der ebenfalls aus alkoholisiertem Haushalt stammt, die Signale der Hundesprache von uns Menschen.  Bumas Besitzer wird dem Hund gegenüber wahrscheinlich sehr unberechenbar und unsicher  gewesen sein, ihm niemals Halt und Führung gegeben und so ein hündisches Wrack erzeugt haben.  Buma wird durch ein sehr gefühlvolles Ehepaar aufgenommen, die ihn mögen und ihn behalten möchten. Aber nach kurzer Zeit schnappt Buma nach dem Mann, lässt ihn nicht mehr in die Nähe der Frau, die sich überwiegend um ihn kümmert.

Auch hier trifft das oben geschriebene zu: Beide Menschen hatten über ein Jahrzehnt einen Hund einer eher schwierigen Rasse, jedoch von Welpen an. Dieser Hund hat sich also sehr früh der ihm fremden, menschlichen  Sprache angepasst und ist nicht zu einem Nervenbündel geworden. Zum einen, da er die Zeit der Anpassung im jungen Alter hatte, zum anderen, da seiner Rasse der Ruf der extremen Sturheit anhaftet. Bei unklarer menschlicher Führung sicher ein Vorteil für einen Hund.
Buma kommt also ins Hundshuus und zeigt bis auf anfängliche unsichere Ausweichmanöver keine Auffälligkeiten. Bei etwas hochgepuschtem Spielverhalten des Rudels hat er leichte Probleme, sich wieder zu sammeln, aber durch rechtzeitiges Unterdrücken allzu wilder Aktionen kommt es nie wieder dazu.  Nach einem Telefonat fragt mich die kurzzeitige Besitzerin, die sehr unter der Abgabe von Buma leidet, ob er jetzt nicht wieder zu ihr und ihrem Mann  zurückkommen könnte. Würde ich dem zustimmen, hätten wir nach spätestens drei Tagen  den nächsten Vorfall innerhalb der Familie!

Und nicht etwa, weil Buma ein „schlechter“ oder gar „bissiger“ Hund ist, sondern weil er sein kurzes Leben über keinerlei Sicherheit und Führung bekam und so instabil und unsicher wie er war, in ein Umfeld kam, dass ihn mit Zuneigung und Liebe überschüttete. Keine klare Einordnung als letztes Glied der Familie, keine klaren Verbote und Gebote – dafür aber Gefühl im Übermass.

Dieser unsichere Hund wurde also künstlich in die Position des Rudelführers gepresst, mit der er derart überfordert war, dass alles, was er tat, eskalierte.  Hier im Rudel gibt es manchmal Situationen, in denen er versucht, keck zu werden. Er versucht gerne, den Superplatz unter dem Tisch zu erhaschen, um dann zu gegebener Zeit einem anderen Hund kurz die Zähne zu zeigen. Natürlich lassen wir das nicht zu, er hat weit weg vom Tisch zu liegen, was er ohne Murren annimmt. Ebenso begreift er, dass die tollkühne Handlung des Hochspringens an Menschen ins Leere läuft. Seine Menschen, also wir,  drehen sich um und gehen einfach weg!  Shiet ook! Wollte er doch in sanftem Ton hören: Aber nein, mein Süsser, nun geh mal schön runter…! Er hätte zwar nicht den Sinn der Worte verstanden, wohl aber den sanften Ton und wäre dadurch automatisch im Springen bestärkt worden…..  

Es ist alles nicht schwierig - man muss nur endlich einmal anfangen, mit Hilfe eines Buches oder eines guten Trainers die „Hundesprache“ zu erlernen, um dann richtig von Mensch zu Hund zu kommunizieren und dem eigenen Hund immer wieder klar zu machen, dass er geliebt und behütet ist, jedoch nichts in der Führungsetage des menschlichen Rudels verloren hat.  Und für die, die morgen gleich neue Lektüre besorgen möchten, hier meine Tipps:

 

An Büchern empfehle ich Ihnen:

(Die wichtigsten Titel sind in ROT markiert)

  • Die Dominanztheorie bei Hunden
    Eine wissenschaftliche Betrachtung / James O'Heare

  • Die Welt in seinem Kopf
    Über das Lernverhalten von Hunden /
    Dorothée Schneider

  • Es würde Knochen vom Himmel regnen
    Über die Vertiefung unserer Beziehung zu Hunden / Suzanne Clothier

  • CALMING SIGNALS Workbook (in deutscher Sprache!)
    Clarissa v. Reinhardt/ Martina Scholz

  • Hilfe, mein Hund zieht!
    Turid Rugaas

  • Stress bei Hunden
    mit einem Vorwort von Anders Hallgren
    Martina Nagel, Clarissa v. Reinhardt

  • Das Aggressionsverhalten
    des Hundes

    Ein Arbeitsbuch / James O'Heare

  • DOMINANZ –
    Tatsache oder fixe Idee?

    Barry Eaton

  • Calming Signals
    Die Beschwichtigungssignale der Hunde
    / Turid Rugaas

  • Das Video zum Buch: Calming Signals
    Die Beschwichtigungssignale der Hunde
    - in deutscher Sprache -

  • Das UNERWÜNSCHTE Jagdverhalten des Hundes/Clarissa v. Reinhardt

  • SPURENSUCHE
    Nasenarbeit Schritt für Schritt
    / Anne Lill Kvam

  • Probleme mit dem Hund/Celina del Amo/ Eugen Ulmer Verlag
     
  • Das grosse Spielebuch für Hunde/ Beschäftigungsideen +Spass im Hundealltag/Christina Sondermann/ Cadmos-Verlag – 22,90 €  (ein wirklich hervorragendes Buch!!)

  • Das Bellverhalten der Hunde / Turid Rugaas /animal learn-Verlag, 17 Euro   (Lassen Sie sich NICHT durch den blöden Titel abschrecken, das Buch ist ein MUSS für unsichere Halter oder Anfänger)
     
  • Hundereich v. Mirjam Cordt / Das sollte die Bibel der Einsteiger und eigentlich ALLER HUNDEHALTER werden! Was für ein gutes und aussagekräftiges Buch!

     

Und für die Leute, die es gerne etwas wissenschaftlicher hätten, mein absolutes Lieblingsbuch:

 

  • H.R. Askew Behandlung von Verhaltensproblemen bei Hund und Katze
    Ein Leitfaden für die tierärztliche Praxis
    EUR 54,95 ISBN 9783830440604 / Parey Verlag


 

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