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June August 2010
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In ganz grauer Vorzeit gab es etwas, an das ich mich nur noch bruchstückhaft erinnere: Es plätscherte, kurze Zeit später war ein eigentümlicher Geruch in der Wohnung und meine Leute kamen dann immer alle ganz beglückt in die Küche, um sich dort an einem Tisch zu versammeln. Meist hatte ich vorher das Glück, kurz um den Block geführt worden zu sein. Aber ich weiss es nicht mehr so genau…. Was ich aber in jedem Fall erinnere, ist eine Sache, die sich immer am Wochenende wiederholte: Meine Leute fanden es am Tisch wohl langweilig und gingen einer nach dem anderen ins Bad, aber mein Rudelchef nahm immer eine Scheibe Brot und schmierte sie nur alleine für mich – mit der weltbesten allerfeinsten wunderbarsten tollsten Leberwurst. Dann kam das herrliche Kommando: „June, sitz!“ gefolgt von „June, Hase!“ und während ich meinen Oberkörper balancierte, wanderte diese göttliche Stulle in meinen Mund und hinterliess dort einen so unglaublich guten Geschmack, dass ich noch Stunden später an meinen Lippen die allerletzten Geschmacksfetzen dieser Leberwurst versuchte einzufangen. Das ist soooo lange her, dass ich leider nicht mehr weiss, wo und wann das alles war. Ich habe auch vergessen, warum ich plötzlich keine weiche Couch mehr zum Schlafen hatte, dafür aber ein Holzbrett auf einem Betonboden. Ich weiss auch nicht mehr, warum mein weiches Kissen und meine Schmusetiere alle weg waren, und ich weiss auch nicht mehr genau, wie es war, wenn ich damals auf der Couch liegend umarmt und gestreichelt wurde. Aber es war schön! Das weiss ich noch. Und ich habe viele viele Nächte geweint und mir meine Couch und meine Leberwurst und meine netten Leute gewünscht, aber es ist nie etwas passiert. Ich bekomme mein Futter, ich bekomme einen Spaziergang, ich habe feste Zeiten, an denen manchmal etwas anderes passiert – aber es ist NIE wieder so gut, so warm, so weich und so schön gewesen wie damals. Ich bin in diesem Gebäude, das Tierheim genannt wird, die Bewohnerin die am längsten hier ist. Die Menschen kommen immer zu festen Zeiten hierher und schauen auch kurz in meinen Zwinger, aber nicht einer hat jemals länger geschaut oder mir Leberwurst-Brote gebracht. Nicht einer hatte mein Kissen und meine Schmusetiere dabei. Und niemals waren meine eigenen Leute von früher unter den Besuchern. Die anderen Hunde, die hier wohnen, ärgern mich immer und sagen, ich bin ein Listenhund. Ich weiss nicht, was es bedeutet. Aber neulich sagte der schlaue Beagle zu mir, dass ich eine Liste an der Tür hängen habe, auf der ganz viele wichtige Menschen geschrieben haben, wie gefährlich und gewalttätig ich bin und die Menschen deshalb Angst vor mir haben. Ich weiss nicht, ob man Beagles trauen kann. Ich habe keine Liste an der Tür gesehen, denn ich wollte sie neulich abreissen. Vielleicht hängt die Liste aber auch an der grossen Eingangstür vor dem Tierheim. Der kleine vorwitzige Mops meint allerdings, die Liste ist in Schubladen von Behörden und in den Köpfen der Leute. Als ich ihm sagte, die Liste kann doch nicht an zwei Orten sein, antwortete er sogar: Die Liste ist überall!!! Ich glaube, der Mops ist nicht im Bilde, er will mir nur Angst machen. Wenn Ihr also die Liste am Eingangstor des Tierheims findet und wenn dort steht: „Achtung, June ist gefährlich!!“, so bitte ich Euch alle, diese Liste zu entfernen, wenn ihr kommt. Glaubt der Liste nicht! Ich habe doch extra diesen Kursus belegt - die Menschen nennen das "Wesenstest" - und die Abschluss-Prüfung mit einer ausgezeichneten Beurteilung bestanden. Jetzt steht auf diesem Abschluss-Zeugnis: June hat ein tolles Wesen und muss nicht hinter Drahtkörben am Kopf herumlaufen. Ich persönlich kann mir das alles nicht recht erklären, aber eines weiss ich: Ich habe immer, jede Nacht wieder, den Traum von meiner Leberwurst-Stulle und meiner Couch und dem Kissen und meinen Spielsachen. Und dann weine ich und dann ist mir wieder ganz ganz schwer am Herzen und ich mag morgens nicht aufstehen………….
Eure June
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