Die Unvergessenen

 

 

Sammy (Herbst1988 – 28.November 2004 )

 

Er kam als um-sich-beissender, kleiner verletzter Welpe in unser Leben: ein pflügender Bauer hatte vom Traktor aus gesehen, wie ein Auto auf dem Feldweg anhielt, etwas hinaus warf und schnell verschwand. Vermutend, dass es sich nur um Abfall handeln würde, beendete der Bauer seine Feldarbeit und fuhr dann zum Abschluss doch noch schnell zur Stelle, um den Müll mitzunehmen. Der Müll war ein ganz junger schwarzer Welpe, der sich mehr an der Kante zum Tode denn zum Leben befand.

Mit dem winzigen Tier überfordert, fiel dem Bauern die Telefonnummer  vom Hundshuus ein. Ein kurzer Anruf – und der kleine Welpe war schon 30 min. später in Sicherheit.

Es war eine Handvoll Hund, mit blutunterlaufenem, geschwollenem Auge, mit einer stark geschwollenen Hinterhand und einer tiefen Schramme auf der Nase. Ich schätze den kleinen Rüden auf maximal 4 Wochen.

Die dann folgende Behandlung, die in erster Linie aus vielen kleinen regelmässigen Mahlzeiten und Wärme bestand, liess ihn bald kräftiger und aktiver werden. Er war inzwischen so gross wie eine Männerhand auf vier kurzen Beinchen und wild entschlossen, seinen Platz in dieser Welt zu erkämpfen. Unsere damals im Haus lebenden Hunde waren ob der ungeheuren Frechheit dieses Zwerges meist völlig konsterniert und hofften sicher alle inständig, man möge dieses Bündel wieder schnell entfernen.

Der kleine schwarze Mann war ein mutiger und draufgängerischer drahthaariger Hund, der nur den Namen FILOU bekommen konnte. Gab es Kalbsknochen für die Hundemeute, war Filou auf seinen  Zwergenbeinchen meist der erste, der ATTACKE schrie und die auf dem Boden liegenden Leckerbissen einsammelte, um sie in seinem weichen, sicheren Bettchen nicht nur zu horten, sondern auch bis aufs Blut zu verteidigen. Filou wuchs zwar gut heran, aber es war zu erkennen, dass er weder gross noch schön im üblichen Sinne werden würde. Ebenso war ein gewisser Hang  erkennbar, Probleme mit Hilfe der Zähne zu lösen.  Damals, vor 27 Jahren, waren mein Mann und ich der Meinung, wir könnten keineswegs mehr als drei Hunde besitzen (was für eine Fehleinschätzung…!!) .  Also begann ich, meinen Zwergenwelpen in den Zeitungen zu inserieren.

Recht bald fand sich eine Familie in einer benachbarten Kleinstadt, die Filou gerne übernehmen wollte. Meine Vorkontrolle präsentierte mir ein unaufgeräumtes, eher armselig eingerichtetes leicht verkommenes Haus mit Garten. Die Familiemitglieder schworen bei allen Heiligen, dass sie diesen Hund lieben und ein Leben lang beschützen würden. 

Ich glaubte ihnen, obwohl ich bereits damals mein berühmtes „Bauchgefühl“ hatte. Da ich aber nicht recht wusste, was ich gegen die Familie an stichhaltigen Argumenten vorbringen sollte, kam der Tag der tränenreichen Trennung von meinem Filou, der sinnigerweise sofort in Benny umgetauft wurde.

Filous Bild kam an unsere grosse Bilderwand gleich neben dem Esstisch und oft sprachen wir noch über ihn und sein tragisches Schicksal. Nach etwa einem Jahr rief die Halterfamilie von meinem Benny an – sie müssten den Hund abgeben, da die Eltern sich scheiden lassen würden und ein Hund nun nicht mehr erwünscht sei. Zum Glück hielten sie sich an den Schutzvertrag und brachten den Hund zu mir zurück.

Was jedoch vor unserer Gartentür wartete, war kein Hund mehr, sondern eine drahthaarige schwarze Zecke mit einem winzigen kleinen Kopf – die Leute hatten meinen Filou in ein beissendes, ca. 18 kg schweres überernährtes Monster verwandelt. Mein Filou erkannte mich nicht mehr und so wurde er durch die Halter ins Hundehaus getragen und dort eingesperrt. Ohne grosse Trauer zog die Familie von dannen, ich überlegte, wie ich mich diesem nujr aus Zähnen bestehenden Tier nähern könnte……

Zurück im Hundehaus kam der kleine Fettball auf mich zugeschossen und wollte herzhaft in meine Beine beissen. Immer schnell mit Reaktionen zog ich in Windeseile meinen Birkenstock-Schlappen aus und zeitgleich mit eintreffen des Hundes an meinem Bein bekam er von mir einen gut gezielten Schlag mit dem Schuh auf seinen Kopf!  Dieser Vorgang spielte sich innerhalb von Sekundenbruchteilen ab – der Hund stutzte, rannte weg und war völlig irritiert. Auf Widerstand war er nicht eingestellt.

Ich aber erkannte die Wende und lockte ihn mit freundlicher Stimme zu mir – und er kam! Zwar zögerlich, aber immerhin. Meine Hände wurden beschnuppert und schnell einmal beleckt. Und damit begann eine bedingungslose Freundschaft zwischen diesem kleinen Hund und mir die die nächsten 15 Jahre anhalten sollte. Er vertraute mir, er liebte mich und ich hatte – mit kurzen Unterbrechungen - immer meinen kleinen schwarzen Schatten hinter mir.

 

In den folgenden Wochen wurde der kleine Mann in SAMMY umgetauft, frei nach Sammy Davies jun. – nämlich klein, schwarz und hässlich! Sammy wurde kastriert, bekam Bewegung und Diät-Ernährung und als er gute vier Kilogramm abgespeckt hatte, begann die Zeit der erneuten Vermittlungsversuche. Viele Anzeigen wurden geschaltet, zahlreiche Bewerber kamen und gingen wieder. Eine dicke Frau aus Hamburg wagte zu sagen, dass sie so einen hässlichen Hund nicht haben wolle, worauf mir die Galle überkochte und ich meinen gesamten Frust und meine Wut auf sie niederprasseln liess. Zum Glück gab es noch kein Internet, sie hätte mir eine vernichtende Kritik im Gästebuch vom Hundshuus hinterlassen.

Mit Hilfe einer in Hamburg lebenden Freundin, die ebenfalls Hunde in Not aufnahm und vermittelte, bekam ich schliesslich die Adresse eines an der Alster lebenden Ehepaares, das unbedingt einen kleinen Hund suchte. Sammy und ich machten uns nach einigen Telefonaten auf den Weg zur Übergabe.  Vor Ort angekommen, war ich entsetzt von dieser zugequalmten Keller-Wohnung! Aber damals habe ich immer in der Panik gelebt, meine Vermittlungshunde nicht unterbringen zu können und es war geschriebenes Gesetz: Nicht mehr als unsere drei eigenen Hunde in der Familie!

Sammy blieb dort!  Als ich ging, hörte ich sein Stimmchen mir hinterher schreien, ich konnte den Wagen kaum finden, so stark war ich von Tränen geschüttelt. Das Frühstück mit einem alten Freund in Hamburg war eine Katastrophe, ich konnte nur weinen und keinen Bissen herunter bringen. Mein Mann, damals im Ausland auf Geschäftsreise, tröstete mich, dass der Hund sich eingewöhnen würde und ich meinen Schmerz vergessen würde……

Aber der Hundegott war auf meiner und Sammys Seite: schon nach 8 Tagen kam ein wütender Anruf vom Halter-Ehepaar. Der Hund würde Bewohner des Hauses und sie selber beissen, er müsse wieder weg. Innerhalb von 2 Stunden konnte ich meinen Sammy wieder in meine Arme schliessen und wir fuhren gemeinsam nach Hause!

Nach einigen Wochen hatte ich einen Anruf einer wirklich sehr nett klingenden Dame, die gerne einen Terrier-Mix hätte. Ich schilderte ihr Sammys Charakter, sie war überzeugt, dass es keine Schwierigkeiten gäben würde, hatte sie doch bereits 6 Foxterrier besessen und würde auch ausreichend spazieren laufen. Sammy wechselte erneut sein Zuhause – diesmal in ein sehr schönes Wohnhaus in einer reichen Gegend an der Elbe.  Sammy schrie mir nach, ich heulte- alles wie gehabt! Und das gute Ende auch wie gehabt: Nach nur zwei Tagen der vorwurfsvolle Anruf der Tochter, die mir mitteilte, dass ihre Mutter mit genähten Fingern nach zahlreichen Bissen durch Sammy im Krankenhaus sei.

Mein Entschluss während der gesamten Hinfahrt zu Sammy stand fest: Was immer auf dieser Welt passieren sollte, ich würde diesen Hund nie mehr hergeben! Sammy und ich fielen uns „in die Arme“ – er schrie vor Glück, ich heulte, wenn auch diesmal vor Glück und  die Tochter drohte hohe Geldforderungen an. Meinem Mann, noch im Ausland, wurde mitgeteilt, dass dieser Hund von nun an  UNSER Hund wäre und seine fast freudige Zustimmung erstaunte mich sehr! Hatte ich den Hund doch immer wieder vermittelt, da ich mit erbittertem Widerstand im eigenen Haus gerechnet hatte.  

Da wir damals aus beruflichen Gründen lange Zeiten in Nordamerika verbrachten, reisten wir mit weiteren Hunde-Box  im Flugzeug und meine kleine dicke Zecke lernte, auf den Felsen am Meer zu balancieren. Er lernte, mit Schwimmweste versehen wie ein mutiger Krieger mit den anderen Hunden vorne im Boot Ausschau zu halten. Er lernte, dass Stachelschweine eine grosse Gefahr für Hunde sind und er war ein unbestechlicher Wächter für unsere Familie. Leute, die er nicht mochte, wurden nach wie vor gebissen. Leute, die unter dem Esstisch die Füsse oder gar Beine heftig bewegten, erkannte man am plötzlich laut heraus posaunten AUA ! Als Sammy, inzwischen auch Sam oder Schmackerduutschke  oder Sam-Heinz oder Mille-Mille genannt, mit 9 Jahren an Diabetes erkrankte, entschlossen mein Mann und ich uns, DIESEN Hund während des Essens am Tisch zu füttern. Mit dem stichhaltigen Argument: er stirbt ja ohnehin bald!

Alle anderen Hunde, inzwischen weit mehr als vier, akzeptierten das.

Sam hasste Spritzen und Tierärzte und als er anfänglich die Blutentnahme zur Einstellung der Insulin-Dosis über sich ergehen lassen musste, schrie er nicht nur die Praxis zusammen und biss wie eine Furie um sich, sondern etliche Dorfbewohner hörten ebenfalls die Schreie. Da ich bereits mit zwei anderen, inzwischen verstorbenen, Hunden reichlich Erfahrung im Umgang mit Insulingaben hatte, beschlossen wir, Sam weitere Qualen zu ersparen. Ich würde ganz nach Erfahrung die täglichen Spritzen „pi mal Daumen“ geben und ihm damit ein eventuell kürzeres, aber qualitativ eindeutig besseres Leben bieten.

Sammy und ich wurden auch auf diesem Gebiet das perfekte Team:
Er war nicht einmal in all den Jahren unterzuckert, seine Krankheit verlief ohne dramatische Komplikationen. Ich versuchte, mit Hilfe von Anfragen und Literatur heraus zu bekommen, wie lange Hunde mit Diabetes und den Insulin-Gaben leben könnten. Unsere beiden anderen Hunde wurden jeweils drei und ein Jahr/e damit behandelt. Alle Antworten, die ich erhielt, sprachen von einer Höchstspanne von vier Jahren.  Ich hatte somit Zeit, mich auf den Abschied von Sam einzustellen.

 

Sammy wurde also 13 Jahre, er liess aber keinerlei Anzeichen von Insulin-Problemen erkennen. Inzwischen war er durch den Diabetes erblindet und taub, kam aber bestens damit klar. Egal, ob in Nordamerika oder in Deutschland: Sammy machte jeden Ort unsicher und war bei allem vorneweg.

Dann begannen seine Bänder und Sehnen nachzulassen, das Laufen machte ihm Mühe. Kein Problem für uns: Sammy bekam für die schneefreie Zeit einen Kinderwagen, den er im Winter mit extra für ihn genähten Fleece-Ganzkörper-Anzug in dicken Decken gehüllt bereiste.

 

Er erschnupperte ganz genau, wo wir waren und hatte auf einem Hügel eine Stelle, an der er aus der Karre heraus gehoben wurde, seinen See machte, etwas schnüffelte und dann aber sofort sein Leckerli forderte, das er nach erneutem Verpacken im Wagen erhielt.

Für die schneereiche Zeit bestellten wir  in der Schweiz einen soliden Holzschlitten mit Rückwand, in die mein Mann dann noch eine Art Kasten einbaute, um Sam sicher und warm verpackt ziehen zu können. Da er Zeit seines Lebens nicht dünn war, sondern immer um die ca. 14 kg wog, mussten alle Dinge für ihn auch solide und gut verarbeitet sein. Im letzten gemeinsamen Jahr in Nordamerika, als Sammy fast 14 Jahre alt war, stellte sich bei ihm eine Alters-Demenz ein.

Er vergass, dass er bereits gefüttert war und forderte lautstark Futter. Das geschah auch mitten in der Nacht, oftmals bis zu fünf mal. Die Nächte wurden schlimm für mich, da die ständigen Unterbrechungen des Schlafs mich reizbar und ungerecht machten. Es gab Nächte, da hätte ich Sam gerne erschlagen. Am Morgen schämte ich mich ganz tief für meine Gefühle und nahm ihn auf dem Arm und trug ihn eine Weile, was er liebte.

Sammy wollte keine Minute mehr ohne mich sein, die anderen Hunde waren ihm egal.  Schlief er fest, so blieb er eine Weile im Raum, in dem er war. Wachte er aber auf und fand mich nicht gleich, da ich womöglich oben im Arbeitszimmer war, ging ein Heidenspektakel los.

Da mein Mann und ich beide konzentriert am Computer arbeiteten, waren diese Störungen wirklich Gift für die Arbeit. Einer von uns musste also das Kindergitter öffnen, die Treppe hinunter gehen und Sam zu uns holen, Gitter wieder schliessen und versuchen, den roten Arbeits-Faden wieder aufnehmen zu können. Ausser – ja, ausser, Sam hatte beschlossen, GENAU JETZT doch wieder in die Küche zu wollen. Also trugen wir ihn wieder hinunter, tranken einen Kaffee und richteten im Grossen und Ganzen unser gesamtes Leben nach ihm ein.

Da Sammy ja seit dem neunten Lebensjahr am Tisch gefüttert wurde (Sie erinnern sich: Er stirbt ja bald…….), hatte ich immer ausreichende Mengen von Käse vorrätig. Genügte ihm jedoch über viele Jahre preisgünstiger Gouda, so spuckte er den nun plötzlich aus und befand den Käse für nicht akzeptabel. Ich wechselte die Sorten!!  Nach einigen Monaten waren wir mit allen Hartkäsen durch und so näherten wir uns den französischen Import-Weichkäsen, die in Nordamerika nicht in die Kategorie „preiswert“ fallen. Aber Sam beschloss, entweder französische Weichkäse oder ohrenbetäubendes Bellen! Wie soll man einem blinden, tauben Demenz-Kranken klarmachen, dass er die Nerven seines Gegenübers über Gebühr strapaziert?

Mein Mann und ich nahmen es als eine Art neue Erfahrung in der Hundehaltung. Motto: was uns nicht umbringt macht uns härter...
Es war über viele Jahre sehr belastend, es war aber auch eine Zeit, die uns speziell diesen Hund immer dichter ans Herz wachsen liess. Während Sam in jungen Jahren gelegentlich auch meinen Mann biss, hatte er im hohen Alter uns beide in sein Herz geschlossen. Es war auch zufrieden, wenn er bei einem von uns auf dem Arm getragen wurde.

 

Wir haben das grosse Glück gehabt, dass viele unserer Hunde im Schlaf in den Tod hinüber dämmerten, aber das wäre nicht Sammys Art gewesen.

Im November 2004 musste ich eine Chance nutzen und mit zwei sehr schwierig zu vermittelnden Hunden nach Borkum reisen, da ich die beiden Brüder dort vor Ort in einer Vermittlungs-Sendung des NDR vorstellen konnte.  Und Sam hatte ausgerechnet in dieser Nacht beschlossen, von uns zu gehen. Er fiel in zeitweise koma-ähnliche Zustände und konnte nicht mehr laufen bzw. stehen und so fiel meinem Mann die schwere Aufgabe zu, ihm den Weg über die Regenbogenbrücke zu ebnen. Ich habe Sam am nächsten Tag dann bereits kalt und ganz leise angetroffen.

Als wir ihn begruben, habe wir beide einen Teil unserer Herzen mit zu ihm ins Grab gepackt.

 Wir werden unseren Sammy nie vergessen..……..

 

 

 

 

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