Der Anrufer war unmissverständlich:
"Entweder Sie fangen den Köter oder ich knalle ihn ab!!"
Diesen Anruf bekam ich vor vielen Jahren und um es kurz zu machen: Ich bekam den Hund nicht eingefangen......
Es handelte sich um einen hochaggressiven, andererseits aber auch sehr ängstlichen Schäferhund-Mischling, cremefarben und auffallend kurz gebaut. Dazu ziemlich kurze Ohren im "Urtyp stehend" und eine hoch getragene Rute. Für mich ein Kreuzungsprodukt Husky oder sonstiger Schlittenhund x Schäferhund.

 

Leider liess also dieser Hund niemanden an sich heran, und das in einem riesigen Waldgebiet, wo der Hund innerhalb von Stunden unauffindbar werden könnte.
Mir fiel die läufige Hündin einer Bekannten ein! Und genau diese lieh ich mir aus. Ich setzte sie neben mich auf den Beifahrersitz, hinter uns das Hundegitter mit dem leeren Kombi. Nachdem wir den Rüden wieder erblickt hatten, machte ich die Klappe auf und fuhr GANZ langsam an ihm vorbei..... Und es wirkte: er roch die läufige Hündin, wurde schneller und sprang in das Auto auf die Ladefläche. Blitzschnell hielt ich an, schloss die Klappe und sauste nach Hause, vorher noch die Hündin wieder zurückgebracht. Nachdem ich die Hündin nicht mehr im Auto hatte, brauchte ich nur mit dem Rüden zu reden, schon fletschte er sie Zähne und grollte mit ganzer Kraft.
Das konnte ja heiter werden.....

Bei mir zu Hause angekommen, kamen meine eigenen Hunde, damals nur drei Stück, ins Haus, dann wurde der Wagen ins ausbruchsichere Grundstück gefahren, die Klappe geöffnet und der Hund konnte herausspringen. An ein anfassen oder gar anleinen war nicht zu denken, er fletschte ernsthaft und wich auf so grosse Distanz aus, dass auch mit einer Fangschlinge nichts zu machen gewesen wäre.

Also die übliche Taktik angewandt: Hund völlig in Ruhe lassen, nicht beachten, sich selber überlassen, zur Ruhe kommen lassen. Durch mehrere unterschiedliche Areale war es möglich, den Rüden von meinen eigenen Hunden unbehelligt laufen zu lassen. Nach ca. 8 Tagen zeigte der Rüde keine so starke Aggression mehr in meine Richtung. Er grollte, aber seine Zähne wurden nur noch halbherzig entblösst.
Nun sollte er endlich einen Namen haben. Was lag näher als EISBÄR? Gelblich-cremefarben und unberechenbar gefährlich. Ich fing an, ihn mit diesem Namen zu rufen. Ohne Reaktion seinerseits.

Nach ca. 15 Tagen rückte der Rüde näher ans Haus und an mich heran. Er schlief vor meinem Schlafzimmerfenster (leider mitten im Kräuterbeet!). Bei meinem Anblick rannte er nicht mehr in wilder Panik weg. Kam mein Mann um die Ecke, Panik wie am ersten Tag.
Ich liess nach und nach jeweils einen unserer Hunde mit ihm zusammen, kein Problem. Und so gewöhnte er sich an, mit den Hunden hinter mir her zu trotten, lediglich, wenn es ins Haus ging, blieb er zögerlich vor der Haustür stehen.
Als einige Zeit später mein Mann zu einem Kongress musste und ich das Haus 4 Tage für mich alleine hatte, stand mein Entschluss fest: Der Hund würde mit ins Haus kommen und sich daran gewöhnen müssen. Ich lockte ihn also eines Tages mit hinein, beachtete ihn überhaupt nicht und tat so, als sei er Luft. Diese Taktik hatte sich bisher bestens bewährt. Er fühlte sich nicht unter Druck, musste also auch nicht angreifen oder abwehren. Offensichtlich kannte Eisbär keinerlei Häuser von innen. Er hob begeistert sein Bein, um zu markieren, hatte Angst, auf dem Holzfussboden entspannt zu laufen und liess erkennen, dass er auch Türen oder ähnliches nie vorher gesehen hatte.
Meine Hunde wurden alle zwei Stunden in den Garten gelassen, Eisbär lief mit, pinkelte, kam wieder mit hinein.
Die folgenden Nächte wurden anstrengend: Er wagte sich nicht hinzulegen. Statt dessen sass er neben meinem Bett und hechelte mir lautstark ins Gesicht. Meine Bewegungen störten ihn nicht mehr, aber natürlich versuchte ich auch nicht, ihn zu berühren.
Als mein Mann nach Hause zurück kam, war Eisbär soweit, dass er zumindest im Haus liegen konnte, wenn auch nicht entspannt. Das schlimmste war überstanden. Und eine wunderbare Zeit mit ihm zusammen begann: Dieser Rüde klebte an mir, lebte wie mein Schatten mit mir. Die Idee, ihn zu vermitteln, gaben wir bald auf. Ein guter Freund, selbst Tierfilmer, vermittelte einen Platz bei "Herrchen gesucht", der Sendung des WDR. Nur war es völlig ausgeschlossen, ihn dort im Studio vorzuführen. Jeder Fremde, der ihn berühren wollte, wurde gebissen. Jeder, der seinen Namen sagte, wurde angefletscht.
Unsere Flüge für uns und unsere drei Hunde im Sommerurlaub nach Canada waren gebucht und es waren nur noch 6 Wochen Zeit bis zum Abflug. An eine Vermittlung war weiterhin nicht zu denken. Ich drehte ein Video über Eisbär, dass seinen unkomplizierten Umgang mit mir zeigte und es sollte eigentlich beim WDR eingespielt werden. Aber unser Freund brachte es auf den Punkt: Wer sollte so einen Hund übernehmen wollen und warum fliegen wir nicht mit vier Hunden????

Damals dachten wir noch, vier Hunde seien doch fast unmöglich (wenn ich in die Zukunft hätte schauen können...). Aber es blieb keine andere Wahl: Eisbär flog mit uns nach Canada, blieb auch bis an sein Lebensende in unserer Familie, biss insgesamt drei Mal meinen Mann (der aber immer sagte, wir würden das schon in den Griff kriegen...) und wurde zu meinem eindeutigen Lieblingshund. Er war schwierig, unendlich dankbar und auf mich fixiert und ich vermisse ihn immer noch......

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Die Theorie:

 

Was macht man (in diesem Fall Frau) eigentlich, wenn sie (wie ich) Hunde aufnimmt und vermittelt und einen Anruf erhält, dass ein bissiger Hund dringend unterzukommen hätte, sonst würde er getötet werden?

Ganz einfach: Frau sagt, dass man ihn schnellstens vorbei bringen sollte!!!

Ich denke einmal, dass etwa 50% der Hunde, die ich aus Privathand übernehme, den Stempel „bissig und gefährlich“ aufgedrückt bekamen.

Und ich verfahre immer nach dem gleichen Schema: Die Hunde kommen in mein Hundehaus, meist von der Person geführt, die sie auch bringt. Dort werden Leine und Halsband abgenommen, der Hund wird sich alleine überlassen. Es sind ca. 80 m² Fläche, im Hundehaus stehen gemütliche Sofas, Hundekörbe, erhöhte Liegeplätze und Welpenwurfkisten. Ausserdem liegt Spielzeug herum, Knabbersachen, Stöcke, Bälle und natürlich frisches Wasser.  Da es einen Sägespan-Platz gibt, der gerne als Hundeklo benutzt wird,gibt es anfänglich also auch reichlich zu schnüffeln. Die Ecken müssen ebenfalls markiert werden (zumindest durch die Rüden). 

Die Hunde fangen dann entweder an zu bellen oder verhalten sich völlig ruhig. Einige gehen auch dazu über, die Einrichtung zu zerlegen, was aber auch nicht weiter schlimm ist.   Normalerweise besuche ich die Hunde nach ca. 3-4 Std. das erste Mal und schaue, wie sie reagieren. Die meisten sind neugierig. Sie kommen heran, beschnuppern mich, hören mir zu. Dabei vermeide ich tunlichst Augenkontakt, schaue nach unten, meine Arme hängen herunter, die Handflächen nach aussen zum Hund hin geöffnet.  Wenn der Hund zu erkennen gibt, dass er Körperkontakt nicht scheut, wird er vorsichtig berührt. Nicht auf dem Kopf, der Schulter oder der Kruppe, sondern leicht von unten an der Brust. 

Dieser Kandidat ist dann also wieder einmal nicht bissig!!

Wenn der Hund jedoch bei meinem Erscheinen panisch in die hinterste Ecke flüchtet, womöglich fletscht und grollt, setze ich mich gleich am Eingang auf ein Sofa, beachte ihn nicht, erzähle ihm aber die Neuigkeiten. Ist es ein sehr misshandelter oder ängstlicher Hund, nehme ich auch schon ein Buch oder einen Artikel mit zu ihm und lese Dinge laut vor, die ich ohnehin noch hätte lesen müssen. Jedes mal bringe ich eine Portion Futter mit, die ich in der Mitte abstelle, mich aber sofort wieder nach vorne zurückziehe.

Diese Eingewöhnungszeit kann je nach Hund bis zu 14 Tage dauern. Dann hat auch der „gefährlichste“ Hund begriffen, dass ich keine Gefahr für ihn bin und kommt vertrauensvoll heran. Der Zeitpunkt, an dem ich Halsband und Leine überstreife, um dem Hund das Aussengelände zu zeigen. Danach ist dann alles Routine: Die Hunde freuen sich, wenn ich komme. Sie sind schliesslich Rudeltiere und mögen keine Isolation.  Sie werden dann nach und nach meinen eigenen Hunden vorgestellt, wobei ich natürlich mit meinem freundlichsten und verspieltesten beginne. Wenn auch diese Zeit vorüber ist, wird der Hund kastriert. Entwurmt ist er inzwischen, die Impfung ebenso wie Tätowierung und  Microchip implantieren können jetzt auch erfolgen.

Und dann beginnt der Alltag. Entweder läuft der Hund den ganzen Tag zusammen mit meinen Hunden auf dem gesamten Grundstück herum oder wenn es noch etwas kriselt, dann nur, nachdem ich ihn rausgelassen habe und immer in der Nähe bin.

Es wird angetestet, wie der Hund sich im Gelände verhält, welche Kommandos er beherrscht, wie er auf Kinder reagiert, was ihm Angst macht usw.

Und es wird darauf geachtet, dass IMMER, bevor ich etwas von ihm will, er eine Unterordnung zu machen hat. Sei es SITZ vor dem füttern, sei es KOMM vor dem anleinen oder was er sonst noch beherrscht, bzw. beigebracht bekommt. So erfährt er ohne grosse Anstrengung, dass ICH der Rudelführer bin, der Dinge von ihm einfordert.   Natürlich darf er im Hundehaus nicht auf gleicher Ebene auf dem Sofa mit mir sitzen, natürlich hat er hinter mir zu warten, wenn ich die Tür öffne und (wie es sich für einen Rudelführer gehört) als erste durch die Öffnung gehe.

Er lernt, dass ich mit einer weichen Bürste sein Fell pflege. Versucht er zu schnappen, oder zu beissen, ziehe ich nicht ruckartig die Hand weg, sondern belasse sie in seinem Maul und verwarne ihn per Stimme. Dann starten wir die Sache von vorne. Nur höre ich diesmal auf, BEVOR es ihm zu viel wird und er Gegenwehr leisten muss. Da er keine Chance hat, zu schnappen, bekommt er mit grossem Lob ein Leckerli.

Um es kurz zu machen: Auch der bissigste Hund ist über diese Art der Manipulation innerhalb einer bestimmten Frist ein guter, lieber Hund. Für diesen Hund suche ich dann neue Halter, bei denen natürlich wichtig ist, dass sie das 1x1 der Hundesprache beherrschen. Und nach Jahrzehnten der Vermittlungsarbeit kann ich schon in den ersten Minuten erkennen, ob es eine Zukunft hat oder nicht........

 

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